Ehe und Familie nehmen in Deutschland einen besonders hohen Stellenwert ein, aufgrund des Schutzes, den ihnen das deutsche Grundgesetz gewährt. Diesen verfassungsrechtlichen Schutz genießen nicht nur deutsche Staatsangehörige, sondern auch Einwanderer aus EU-Staaten sowie Drittstaaten. Lebt eines der Familienmitglieder im Ausland, ist es möglich, die Familie – insbesondere Eheleute und Eltern mit ihren minderjährigen Kindern – unter bestimmten Voraussetzungen durch Familiennachzug zusammenzuführen.
Visumserfordernis
Kein Visum benötigen die Familienangehörigen von Unionsbürgern. Begünstigt sind die Ehegatten, Kinder und Stiefkinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs sowie die Eltern und Schwiegereltern des Freizügigkeitsberechtigten, denen Unterhalt geleistet wird. Begünstigt sind weiter die Angehörigen der Staaten, die in § 41 AufenthG aufgezählt sind, z.B. der USA und Japans, aber auch einiger kleinerer Staaten wie Honduras. Hinzu kommen die Staaten Brasilien und El Salvador aus Anlage A zu § 16 AufenthV.
Die Angehörigen aller anderen Staaten benötigen für den Familiennachzug ein für diesen Zweck ausgestelltes Visum. Das gilt auch für die Familienangehörigen Deutscher. § 39 AufenthV sieht jedoch weitere Ausnahmen vor. Wer eine Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum für einen drei Monate übersteigenden anderen Aufenthaltszweck besitzt, muss nicht zur Genehmigung des Familiennachzugs ausreisen. Dasselbe gilt für die Angehörigen der Staaten, die im Anhang II zur EU-VisumsVO 539/2001 aufgezählt sind (z.B. Kroatien), für Asylbewerber, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen, für geduldete Ausländer, die den Anspruch erst nach der Einreise erworben haben, sowie für Ausländer, die einen Aufenthaltstitel eines anderen Schengenstaats besitzen.
Die Familienangehörigen von Deutschen sind von diesen Voraussetzungen nur dann befreit und den Familienangehörigen von Unionsbürgern gleichgestellt, wenn der deutsche Ehegatte oder Elternteil in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig war oder ist. Dasselbe gilt, wenn er grenzüberschreitend in einem anderen Mitgliedsstaat erwerbstätig ist (EuGH, NVwZ 2002, Beil. Nr. I 10, 105). Auch die vorübergehende Wohnsitznahme in einem anderen Mitgliedstaat genügt (vgl. EuGH, EuZW 2007, 549).
Verfahren
Der Visumsantrag ist bei der Deutschen Botschaft oder dem Generalkonsulat zu stellen, das für den Aufenthalt des Ausländers zuständig ist. Der Antrag ist nicht bei der Ausländerbehörde in Deutschland zu stellen; allerdings muss die deutsche Auslandsvertretung die Ausländerbehörde des vorgesehenen inländischen Aufenthaltsorts am Visumsverfahren beteiligen (§ 31 I AufenthV).
Voraussetzungen des Familiennachzugs
1. Familiennachzug zu Drittstaatsangehörigen
Der Familiennachzug zu Drittstaatsangehörigen ist möglich, wenn der bereits in Deutschland lebende Familienangehörige im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU oder Niederlassungserlaubnis ist, über ausreichenden Wohnraum verfügt und der Lebensunterhalt gesichert ist.
In der Regel müssen Ehegatten grundlegende Deutschkenntnisse vor der Einreise nachweisen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.
Ausnahmeregelungen
Es gibt jedoch bestimmte Ausnahmen von diesem Sprachnachweis:
- bei Nachzug zu Inhaberinnen und Inhabern einer Blauen Karte EU
- bei Nachzug zu Hochqualifizierten, Forscherinnen und Forschern oder Selbständigen
- bei erkennbar geringem Integrationsbedarf der Ehepartner (z.B. Ehepartner mit Hochschulabschluss)
- bei Nachzug zu Staatsangehörigen aus Australien, Israels, Japan, Kanada, der Republik Korea, Neuseeland oder den Vereinigten Staaten von Amerika
- wenn es dem Ehepartner nicht möglich oder nicht zumutbar ist, vor Einreise Bemühungen zum Erwerb einfacher Deutschkenntnisse zu unternehmen (Härtefallregelung)
- wenn der Ehepartner wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, einfache Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen.
Minderjährige Kinder erhalten eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, sofern die Eltern beziehungsweise der allein personensorgeberechtigte Elternteil im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU ist. Hat das minderjährige Kind das 16. Lebensjahr bereits vollendet, muss es zusätzlich über sehr gute Deutschkenntnisse verfügen.
2. Familiennachzug zu Deutschen
Anders als bei den Regelungen für den Nachzug zu ausländischen Staatsangehörigen, ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beim Zuzug zu Deutschen in der Regel nicht vom Nachweis des gesicherten Lebensunterhaltes abhängig. Es ist grundsätzlich aber ebenfalls erforderlich, dass die nachziehenden Ehegatten beziehungsweise Lebenspartnerinnen und Lebenspartner vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse nachweisen.
3. Familiennachzug zu Flüchtlingen
Für anerkannte GFK-Flüchtlinge, die eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis besitzen und den Antrag auf Familienzusammenführung frühzeitig stellen, gelten erleichterte Voraussetzungen. Dann entfallen sowohl die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung als auch der Nachweis einfacher Deutschkenntnissen vor der Einreise.
4. Familiennachzug zu sonstigen Familienangehörigen
Das Aufenthaltsgesetz beschränkt den Nachzug sonstiger Familienangehöriger auf seltene Ausnahmefälle, denn der unbestimmte Rechtsbegriff „zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich“ ist die höchste tatbestandliche Hürde, die der Gesetzgeber aufstellt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Oktober 2014 – OVG 6 B 1.14 – juris, Rn. 13). Eine außergewöhnliche Härte ist nur dann anzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 des Grundgesetzes – GG – bzw. des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – und im Vergleich zu den sonst geregelten Fällen des Familiennachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gebieten. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die individuellen Besonderheiten des konkreten Einzelfalls nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sind, dass die Folgen der Versagung des Visums zum Familiennachzug unter Berücksichtigung des Zwecks der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widersprächen, also schlechthin unvertretbar wären.
5. Eigenständiges Aufenthaltsrecht für Familienangehörige
Wird die familiäre Lebensgemeinschaft aufgehoben, kann den nachgezogenen Familienangehörigen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zustehen. Wichtig ist dies insbesondere im Falle einer Scheidung oder bei Todesfällen. Unabhängig von der wirtschaftlichen Situation können Ehegatten einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr haben. Eine weitere Verlängerung ist regelmäßig von der Sicherung des Lebensunterhaltes abhängig.
Kinder haben einen eigenständigen Anspruch auf Erhalt einer Niederlassungserlaubnis, wenn sie zum Zeitpunkt des 16. Geburtstags seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind. Sind die Kinder bereits volljährig, müssen sie zudem ausreichende Sprachkenntnisse und gegebenenfalls die Sicherung des Lebensunterhalts nachweisen.